© David Schreyer

Architektur: Raus aus der Stadt und ab aufs Land

Das Ländliche wird heute wiederentdeckt: Mit traditionellen Materialien, neu interpretiert, schaffen Architekten Häuser und Räume von ruhiger Würde und rauer Gemütlichkeit. Dauerhafte Werte für die Zukunft.

18.09.2020 - By Maik Novotny

Das Land, die Zukunft

Genau hinschauen, was auf dem Land passiert: Das passiert gerade überall. »Countryside – The Future« nannte der niederländische Star­architekt Rem Koolhaas seine Ausstellung, die Anfang dieses Jahres im New Yorker Guggenheim Museum eröffnete. Nachdem man sich jahrzehntelang nur um das Urbane gekümmert habe, so Koolhaas, sei jetzt die Zeit für das Land gekommen. Da hat er schon recht, der Rem! Wobei Kool­haas, der bekanntlich gut 300 Tage im Jahr in Flughäfen und Hotels verbringt, recht spät da­rauf gekommen ist, dass außerhalb von Städten auch so etwas existiert.

Woanders wusste man das schon. Vor allem im alpinen Raum, wo das Ländliche jenseits von Rustikal-Romantik lebt und gedeiht. Der LandLuft- Baukulturpreis, der seit Jahren an baukulturell innovative österreichische Gemeinden vergeben wird, zeugt davon, wie man dem Land Wert und Würde zurückgibt. Ein Beispiel: der Alte Markt in Lauterach, heute eine graue Verkehrsschneise. Die Architekten Elmar Ludescher und Philip Lutz wissen, wie wichtig ein Gasthof für eine Landgemeinde ist. Erst recht, wenn sich seit dem 19. Jahrhundert immer ein solcher an dieser Stelle befunden hat. Also entwarfen sie einen neuen, maßgefertigt für den Ort: Fensterläden aus Eiche unten, Holzlamellen oben. Zwei Gaststuben, 14 Gästezimmer. Eine ländliche Dimension. Neu fügt sich in Alt.

Das tut es auch in einem alten bayerischen Bauernhaus, aber auf ganz andere Weise. Der mit dem Ländlichen bestens vertraute Architekt Peter Haimerl ging hier mit präziser Brutalität vor. Massiger Sichtbeton, über­einandergeschichtet wie versteinerte Holz­balken, verzahnt sich mit altem Holz und Gemäuer zu einer kraftstrotzenden Einheit. Das Land ist eben nicht nur nett und gemütlich. Landwirtschaft ist hart, und die Kräfte der Natur können gnadenlos sein. Dieses Haus kann alles aushalten.

Ein Stück Sichtbeton ragt auch in Castasegna im Schweizer Engadin aus dem Tal­boden hervor. Ein graues Türmchen, ganz selbstverständlich in eine alte Mauer eingefügt. Es ist Teil eines einzigartigen Ensembles: der Villa Garbald. Jene nämlich errichtete Gottfried Semper, Architekt der Wiener Neuen Hofburg, in den 1860er-Jahren als italianisierte Casa Rustica. 2003 wurde sie sorgfältig saniert und durch ein Seminarzen­trum ergänzt – der Betonturm, in respektvollem Abstand zum Altbau. Ruhig wie ein Fels.

»Ich finde es wichtig, aus dem Fundus des Landes heraus zu reflektieren: Wie haben das die Leute früher gemacht? Das muss man wissen, um eine gute Arbeit zu machen.« Architekt Bernardo Bader

Fels und Holz

Nicht Casa, sondern Ciasa nennt man ein Holzhaus ein paar Alpenregionen weiter, in den Südtiroler Dolomiten. Auch hier ließen sich Architekten von archaischen Formen inspirieren. In St. Vigil im Gadertal steht eine solche mitten in der Wiese. Eine Liebeser­klärung von Pedevilla Architekten an den lokalen Baustoff: Die drei oberirdischen Geschoße inklusive der Möbel bestehen komplett aus Holz der umliegenden Wälder. Fichtenholz, handgehobelte Zirbe, hand­gespaltene Lärchenschindeln.

Man sieht: All dies sind keine Einzelfälle. Das Land wird wieder wertgeschätzt, mit Architektur, die seine Werte – ob kulturell oder materiell – erhält und weiterdenkt. Eine Entwicklung, die auch am Immobilienmarkt nicht unbemerkt vorbeigegangen ist. Nicht nur in bekannten Hotspots wie Kitzbühel, wo laut Engel & Völkers im vorigen Jahr 6.000 Euro pro Quadratmeter für ein Grundstück im Ortskern gezahlt wurden. Auch weniger glamouröse Orte wie das Waldviertel oder die Steiermark werden in Corona-Zeiten wiederentdeckt, auf der Suche nach Rückzugsorten im Zweitwohnsitz. Das Land: die Zukunft.

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