© Courtesy of Swatch Ltd

Architektur im Wandel: Nullen und Einsen am Bau

Für manche ist sie ein alter Hut, für andere Alltag, für andere wiederum ein Tor zu neuen Welten. Einigen wir uns darauf: Die Digitalisierung in der Architektur ist das, was man daraus macht. Mal spacig wie ein Raumschiff, mal versteckt in einem Holzbalken.

12.04.2021 - By Maik Novotny

Fast glaubt man, man stünde im Wald. Ist das nicht auch ein leichter Duft von Finnland im Raum? Gut möglich! Das neue Seminarzentrum der BOKU in Wien besteht zu 78 Prozent aus Holz, dem wohl ältesten Baustoff der Welt. In der lichtdurchfluteten Bibliothek steht Christoph Falkner und wischt über sein Smartphone. »Das ist unser IVAN«, sagt der Architekt, als sich die App öffnet. »Unser selbst entwickeltes Programm. Das gesamte Bauwerk ist darin drei-dimensional in der Cloud enthalten und per Virtual Reality dargestellt.« 

NATÜRLICH DIGITAL

Schon während der Planung konnten so -der Bauherr (die Bundesimmobiliengesellschaft BIG), Firmen und das Planer-Team aus SWAP Architekten und Delta Projektconsult durch die Räume navigieren. Nicht der einzige digitale Twist dieses so analogen Baustoffs. Denn jedes Holzelement kam mit einem Sensor aus dem Werk. So konnte dessen Weg auf die Baustelle kontrolliert werden, und auch heute funken Stütze und Balken ihre Daten leise hinaus. So kann das Facility Management Temperatur und Feuchtigkeitsgehalt überwachen. Man sieht: Die Digitalisierung kann etwas ganz Natürliches sein.

Von Wien in die Schweiz, das Land der perfekten Mechanik. Hier hat das Unternehmen Swatch seinen Sitz, und sein neues Headquarter lässt weder an kleine Uhrenrädchen noch an calvinistische Strenge denken. Ein 240 Meter langes geschwungenes Dach aus Holz schwappt wie eine Welle über das Gebäude. Und auch hier wurde das Holz digital in Form gebracht – eine Spezialität des japanischen Architekten Shigeru Ban. Jedes der 4.600 Holzstücke wurde mittels 3D-Technologie millimetergenau zugeschnitten und positioniert. Bei genauerem Hinsehen also doch wie ein Schweizer Uhrwerk.

Die Digitalisierung kann aber noch mehr. ­Das active energy building (a.e.b.) in Vaduz
von den Wiener Architekten Anton Falkeis und Cornelia Falkeis-Senn ist ein gebautes

Experiment, und das sieht man ihm auch an. Hier kam gleich eine Fülle von Technolo­gien zum Einsatz: Neben eigens patentierten Phase Change Materials (PCM), die ihren Aggregatzustand verändern können und dabei Energie speichern, wurde das Haus auch mit Fotovoltaikpaneelen ausgestattet, die dank eines selbst entwickelten Solar-Trackers dem exakten Sonnenstand folgen. Die Digitalisierung als Tool der Forschung im Zeichen der Energiewende.

GESCHWUNGENE ELEGANZ

Zu den Vorreitern des digitalen Formfindens gehören der Niederländer Ben van Berkel und sein Büro UNStudio. In seinen Entwürfen fließen Raum und Masse ineinander, gespeist von Informationen – Häuser wie gebaute IT-Landschaften. Seine Pläne für das Zentrum für Virtuelles Engineering (ZVE) des Fraunhofer Instituts an der Universität Stuttgart ähneln einer Kollision bunter, weicher Planeten. Die genaue Analyse, was die Forschungsmitarbeiter zu welchem Zeitpunkt hier tun, wurde digitalisiert und in Räume gegossen, die sich exakt an die alltäglichen Tätigkeiten, Bewegungen und Begegnungen anschmiegen. »Die traditionelle Gliederung von Bürogebäuden in Einzelbüros wird weitgehend ersetzt durch ineinanderfließende Arbeitsräume mit vielfältigen Sichtbezügen, Bereichen für spontane Treffen und geplante Besprechungen und mit flexiblen Versuchsbüros«, sagt van Berkel. »Kommunikation ist der Schlüssel zu neuen Arbeitsabläufen.« 

Und manchmal haben gerade jene das Digitale in den Alltag integriert, von denen man es gar nicht erwarten würde. So etwa der 79-jährige ausgewiesene Bleistift-Fan Heinz Neumann und seine Partner Oliver Oszwald und Florian Rode vom Büro HNP architects. »Bei uns gehört BIM, also Building Information Modeling zum Alltag«, sagt er. Jüngstes Beispiel: der Office Park 4 am Wiener Flug-hafen. Dessen leicht geschwungene Formen wurden digital an die lokalen Windverhält-nisse angepasst. Eleganz dank Intelligenz.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 02/2021

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