Andrés Reisinger im Interview zur Trendfarbe Pink
Der argentinische Designer Andrés Reisinger ist einer der bedeutendsten 3D-Künstler der Gegenwart. Einige seiner ebenso meditativen wie humorvollen virtuellen Möbeln gibt es mittlerweile auch physisch zu kaufen.
24.03.2022 - By Karin Cerny
Ein Sessel, der beruhigend wirkt und positive Stimmung versprüht: Der »Hortensia Chair«, ein Eyecatcher par excellence und 30.000 Blättern nachempfunden. Man hat fraglos das Gefühl, in einer blühenden Blume zu sitzen. Bereits letzten Herbst sorgte das ungewöhnliche Designobjekt auf dem Mailänder Salone del Mobile für Aufsehen und machte den argentinischen Designer Andrés Reisinger zum Shootingstar. Der »Hortensia Chair«, auf dem auch bereits LIVING im Zuge der Designmesse in Rossana Orlandis Galerie Probe saß, war sein erstes physisches Objekt. Denn primär kreiert er Möbel für digitale Welten, die rosa und erstaunlich friedlich sind. Erst kürzlich hatte der 32-Jährige sogar ein überaus stylishes Haus für das Metaverse designt. Der LIVING-Talk über digitale Welten und die Anziehungskraft der Farbe Rosa.
LiVING Wie ist der »Hortensia Chair«entstanden?
ANDRÉS REISINGER Als 3D-Rendering, das in den sozialen Medien schnell viral wurde. Obwohl der Stuhl zu dieser Zeit noch nicht existierte, führte sein Erfolg zu mehreren Bestellungen. Als Reaktion darauf suchten die Produktdesignerin Júlia Esqué und ich einen Weg, den Stuhl in ein reales Produkt zu verwandeln. Wir haben eine limitierte Auflage von 15 Stück kreiert, die ziemlich schnell ausverkauft war. Aber wir wünschten uns, dass der »Hortensia Chair« auch von der breiten Öffentlichkeit gekauft werden könnte. Gemeinsam mit dem niederländischen Design-Label Moooi ist uns das dann gelungen.
Was dauerte länger, der digitale oder der reale Entwurf des Stuhls?
Ich kann nicht gerade behaupten, dass physische Stücke leicht zu bauen sind. Es war extrem schwierig, aber unsere Zivilisation ist zunehmend in der Lage, extrem komplizierte Dinge auf einfachere Weise herzustellen. Dafür haben wir verschiedene Technologien entwickelt. Aber ich muss trotzdem sagen, dass die Entwicklung eines digitalen -Möbelstücks wie »Hortensia«, »Tangled«, »Complicated Sofa« oder »Crowded Elevator« das Schwierigste war, was ich je versucht habe.
Ihre Bilderwelten wirken friedlich, eine Art rosa Utopie. Was hat es damit auf sich?
Mein kreativer Prozess ist untrennbar mit Experimentieren und Scheitern verbunden. Jede meiner Traumwelten ist das Ergebnis eines mühsamen Erkundungsprozesses, der in einem Bild gipfelt, das Ruhe erzeugt. Es macht mir Spaß, zu sehen, wie Leute die Welten, die ich vorschlage, mit dem gleichen Eifer interpretieren wie ich. Ich mag, dass ich mit meinem Wunsch, in diesen friedlichen Welten zu leben, nicht allein bin. Ich glaube, dass viele von uns in diesen verrückten Zeiten nach Ruhe suchen.
Und warum ist fast alles rosa?
Pink hat mich immer an das Leben erinnert. Meine Hauptinspirationsquellen waren schon immer Kristalle, Blumen und der menschliche Körper, seine Form, Farbe und Textur. Er dient als Grundlage für die Farbpaletten meiner Arbeit. Sowohl die Farbe Rosa, die menschlichen Körpertöne als auch die sphärischen Formen weisen auf eine Welt hin, die ruhig und auf Emotionen konzentriert ist.
Gleichzeitig klingen Ihre Möbelnamen aber auch sehr humorvoll.
Ich spiele ebenso gern mit Worten wie mit virtuellen Zusammenhängen. Die Namen, die ich für meine Stücke gewählt habe, haben immer eine Bedeutung, eine Art Erinnerung an das Konzept dahinter. Nehmen wir zum Beispiel »Crowded Elevator«: Ich wurde inspiriert von der Bauhaus-Technik. Der Titel des Kunstwerks suggeriert eine selbstreferenzielle Isolation.
Haben Sie Design-Vorbilder?
Ich mag es, die Grenzen zwischen dem Digitalen und dem Physischen zu verschieben, um eine hybride Realität zu entwickeln. Ich nutze Möbel gern als Protagonisten meiner verträumten Räume. Ich lasse mich von Büchern und Filmen inspirieren, aber auch von Designklassikern. Ich mag den französischen Designer Pierre Paulin sehr. Er ist für seine organischen Sesselentwürfe bekannt.
Warum sollte man sich einen virtuellen Stuhl kaufen? Was kann man damit anfangen?
Beginnen wir mit den Vorteilen für Künstler:innen: Ich kann ein digitales Kunstwerk direkt an ein globales Publikum verkaufen, ohne eine Galerie zu benötigen. Lizenzgebühren können programmiert werden, sodass der Schöpfer jedes Mal, wenn sein Stück an einen neuen Besitzer verkauft wird, einen Prozentsatz des Verkaufsgewinns erhält. Es ist eine völlig neue und faire Art der Rückverfolgbarkeit für die Hersteller:innen, die es bei physischen Stücken nicht gibt.
Und für Käufer:innen?
Im Grunde unterscheidet es sich nicht wirklich vom Kauf eines realen Designobjekts oder Gemäldes, nur existiert es im persönlichen digitalen Raum. Vielleicht ist das im Moment noch weit von der Denkweise vieler entfernt, aber wir bewegen uns darauf zu, dass digitale Welten immer wichtiger werden. Kuratieren wir nicht schon längst unsere Social-Media-Kanäle?
Wie wird diese virtuelle Zukunft konkret aussehen?
Im Durchschnitt verbringen wir in der westlichen Welt rund ein Drittel unserer Tage damit, mit einem Bildschirm oder einem Smartphone verbunden zu sein. Die Frage beantwortet sich also fast von selbst: Wir sind längst in virtuelles Design eingetaucht. Es geht mir vor allem darum, unser digitales Leben tiefgreifender und kollektiver zu gestalten, um sinnvolle und sinnliche Erfahrungen machen zu können.
Würden Sie Ihre digitalen Welten als surreal bezeichnen?
Ich arbeite gerne mit Kontext. Ich versuche, die Realität zu verzerren, aber nicht übermäßig. Ich möchte nicht zu explizit sein, sonst unterscheide ich mich ja nicht mehr von dem, was wir ohnehin schon kennen. Mein Ziel ist es, einen leichten Hauch von Kuriosität hinzuzufügen. Wenn etwas als zu seltsam erachtet wird, wird es sofort abgewiesen; wenn es nicht fremd genug ist, wird es in die alltägliche Realität aufgenommen. Das ist eine schwierige Gratwanderung.